Der Wolf fraß sechs junge Geißlein. Diese konnten nur durch die beherzte Tat des jüngsten Geschwisterchens, gemeinsam mit der alten Geiß, gerettet werden. Das zuständige Amtsgericht verurteilte ihn heute zu 2 Jahren. Der Richter hatte Mitleid mit dem Wolf, dem er fast einen Opferstatus zuerkannte.
Zweimal versuchte der Wolf vergeblich, Einlass in die Hütte der jungen Geißlein zu erhalten, die die alleinerziehende alte Geiß leichtsinniger Weise allein gelassen hatte. Beim dritten Mal gelang es ihm. Er fraß sechs Geißlein. Das siebente überlebte in einem sicheren Versteck. Als die verantwortungslose Mutter von ihrer Shoppingtour wieder nachhause kam, führte sie eine unsterile Operation am Wolf gegen dessen Willen durch. Dadurch konnten die sechs verschluckten Geißlein in letzter Minute gerettet werden.
Das Amtsgericht zu Kleinsiehstdunichtwo verurteilte heute den Wolf wegen schwerer Körperverletzung in sechs Fällen zu zwei Jahren mit Bewährung. Zusätzlich wurden 100 Stunden gemeinnützige Arbeit auf einem Bauernhof angeordnet. Sein Verteidiger, Dr. Rainer Fuchs, kündigte an, die alte Geiß wegen der Folgen der laienhaften Operation zivilrechtlich auf Schmerzensgeld zu verklagen.
„Es sei eine Verkettung mehrerer unglückliche Umstände gewesen, die zu der Tat des Wolfes geführt hatten“, meinte der Vertreter der Staatsanwaltschaft in seinem Plädoyer: sieben Geißlein, die offensichtlich den Wolf nicht von ihrer Mutter unterscheiden konnten, eine arbeitslose alte Geiß, die ihre Kinder unbeaufsichtigt im Haus lässt, und ein seit Tagen ausgehungerter Wolf. Auch sei der Wolf weder vom Bäcker noch vom Krämer gewarnt worden, dass er die Geißlein nicht behelligen solle. Er befand sich in einer Zwangslage.
Der Wolf war seit Tagen auf der Suche nach Futter. Befreundete Wölfe seines Rudels hatten ihm dann von der ungesicherten Hütte und der geplanten Einkaufstour der alten Geiß erzählt. In allen Einzelheiten hatten sie die sieben kleinen Geißlein beschrieben. Der Krämer und der Bäcker, die als Zeugen geladen waren, bestätigten, dass sie vor ihrem Laden noch andere Alt-Wölfe gesehen hatten.
Allerdings gab der Wolf zu, dass er wisse, dass man junge Geißlein nicht fressen solle. Dies alles tue ihm furchtbar leid.
Wie er es erlebt habe, als er die alleingelassenen Geißlein fand, wollte der Richter vom Wolf wissen. Ob die jungen Geißlein ihm gesagt haben, dass sie nicht gefressen werden wollten. Dies konnte der Wolf glaubhaft verneinen. Er wies auch darauf hin, dass sich sechs von ihnen nur nachlässig und unzureichend versteckten. Da ihm vor Hunger der Magen knurrte und der Geifer aus dem Maul tropfte, habe er sich nichts weiter dabei gedacht, als er sie fraß. Seine Freunde haben von draußen geheult vor Begeisterung.
„Die sieben jungen Geißlein sehen sehr appetitlich aus, und die Hütte bietet nicht viel Widerstand“, meinte Richter Bernhard Bär, als er Beweisfotos sichtete (zu einem späteren Zeitpunkt werden wir diese Fotos hier veröffentlichen, damit Sie sich selbst eine Meinung bilden können – die Redaktion).
Nach der Krankenhausentlassung des Wolfes erstattete die alte Geiß Anzeige gegen ihn. Die Einzelheiten der Tat waren überall in Kleinsiehstdunichtwo verbreitet worden. Jeder kannte jetzt die Adresse ihrer Hütte. Die jungen Geißlein schliefen vor Angst keine Nacht mehr ein oder durch, behauptete die Mutter.
Dem Wolf war bewusst, dass seine Tat strafbar war und schlimme Folgen für die jungen Geißlein hätte haben können, führte der Richter bei der Urteilsbegründung aus, er habe sie trotzdem geplant und ausgeführt. Mit Hinweis auf die unglücklichen Umstände und die später durchgeführte Operation ließ der Richter Gnade walten. Der Wolf sei ja bestraft genug. Die jungen Geißlein würden das Geschehen bald vergessen. Körperliche Dauerschäden hätten sie nicht davongetragen. Ihnen und der alten Geiß sei eine Mitschuld zuzurechnen. Er berücksichtigte in seiner Urteilsbegründung auch den Einfluss der Freunde des Wolfes, die ihn angestachelt haben.